NILS WOGRAM & ROOT 70
- THE PRISTINE SOUND OF
ROOT 70
„Altmodisch“ ist ein herrlich altmodisches Wort,
das es tatsächlich in fast jeder Sprache gibt.
„Old fashioned“ oder „démodé“ – hatte dieser
Begriff noch vor wenigen Jahren eine
angestaubte Konnotation, bringt er heute das
Gegenteil von „altbacken“ zum Ausdruck,
nämlich eine selbstbestimmte Resistenz
gegenüber immer schneller einlaufenden
n e u e n Tr e n d s u n d t e c h n o l o g i s c h e n
Entwicklungen, die unser Leben zwar
bestimmen, sich aber gleichzeitig von ihm
abkoppeln, weil man ja schon stets das nächste neue Ding im Auge haben muss. „The Pristine
Sound Of Root 70“, das neue Album von Nils Wograms Band Root 70 ist im besten Sinne des
Wortes auf eine sehr lebendige, erfrischende und authentische Weise altmodisch. Denn es lässt
uns innehalten, nachdenken, durchatmen und entschleunigen. Es gibt uns vom ersten Ton an
etwas Vertrautes, das nur neu entdeckt und adaptiert werden will. Wenn man auf Verweise aus der
Vergangenheit zurückgreifen will, klingt das Album wie eine Verabredung des Gerry Mulligan Bob
Brookmeyer Quartets mit dem Albert Mangelsdorff Quartett der späten 1960er Jahre. Posaunist
Nils Wogram, Saxofonist Hayden Chisholm, Bassist Matt Penman und Schlagzeuger Jochen
Rueckert schaffen es, mit der

...

afficher plus

NILS WOGRAM & ROOT 70
- THE PRISTINE SOUND OF
ROOT 70
„Altmodisch“ ist ein herrlich altmodisches Wort,
das es tatsächlich in fast jeder Sprache gibt.
„Old fashioned“ oder „démodé“ – hatte dieser
Begriff noch vor wenigen Jahren eine
angestaubte Konnotation, bringt er heute das
Gegenteil von „altbacken“ zum Ausdruck,
nämlich eine selbstbestimmte Resistenz
gegenüber immer schneller einlaufenden
n e u e n Tr e n d s u n d t e c h n o l o g i s c h e n
Entwicklungen, die unser Leben zwar
bestimmen, sich aber gleichzeitig von ihm
abkoppeln, weil man ja schon stets das nächste neue Ding im Auge haben muss. „The Pristine
Sound Of Root 70“, das neue Album von Nils Wograms Band Root 70 ist im besten Sinne des
Wortes auf eine sehr lebendige, erfrischende und authentische Weise altmodisch. Denn es lässt
uns innehalten, nachdenken, durchatmen und entschleunigen. Es gibt uns vom ersten Ton an
etwas Vertrautes, das nur neu entdeckt und adaptiert werden will. Wenn man auf Verweise aus der
Vergangenheit zurückgreifen will, klingt das Album wie eine Verabredung des Gerry Mulligan Bob
Brookmeyer Quartets mit dem Albert Mangelsdorff Quartett der späten 1960er Jahre. Posaunist
Nils Wogram, Saxofonist Hayden Chisholm, Bassist Matt Penman und Schlagzeuger Jochen
Rueckert schaffen es, mit der kämpferischen Gelassenheit jener Jahre ganz neue Türen und
Fenster für unsere Zeit zu öffnen.
„Es ging mir darum, etwas Zeitloses zu machen“, hält Wogram fest. „Ich habe durchaus eine
Affinität zu Altmodischem. Die Herausforderung besteht darin, dass es nicht abgestanden ist. Ich
wollte mich komplett von einem bestimmten Zeitgeist oder gelenkten Konzept lösen. Mit
zunehmendem Alter und auch dem Altern einer Band wird es immer schwieriger, mit den
Möglichkeiten einer bestimmten Instrumentierung und personellen Zusammensetzung dauerhaft
etwas Neues zu finden. Der Rahmen ist vorgegeben. Aber man kann die vorhandenen
Besonderheiten und Nuancen featuren und feiern.“
Root 70 ist als Band an einen Punkt gelangt, an dem sie alle denkbaren Versionen ihrer selbst
vorgestellt hat. Sie braucht keine neuen musikalischen Programme mehr. Jetzt können die Vier
1
einfach loslassen und unbefangen erzählen. Wogram wollte ganz bewusst Material mit einer
Erzählstruktur schaffen, welche die beteiligten Musiker möglichst wenig konzeptionell eingrenzt. Er
setzt auf klare Formen und einfache Texturen. Der Charakter der Tracks ergibt sich aus ihrer
Stimmung, innerhalb derer sich dann die individuellen und kollektiven Erzählungen entspinnen. Mit
Chisholm, Penman und Rueckert kann Wogram auf die menschlichen und spielerischen
Ressourcen zurückgreifen, die diesen Anspruch ausfüllen. Er selbst hat nach seinem 50.
Geburtstag eine Ruhe gefunden, die ihm früher eher abging.
Neben besagter Gelassenheit zieht sich die hohe Wiedererkennbarkeit der Songs als roter Faden
durch das Album. Diese liegt vielleicht weniger in den Melodien begründet als in der Erzählhaltung,
mit der die Band jeden einzelnen Song durchlebt. Jedes Stück hat einen Plot, und dieser Plot ist
wiedererkennbar, wenn auch nicht ohne weiteres nacherzählbar, denn er kann eben nur von Root
70 erzählt werden. Vom Sound her ist „The Pristine Sound Of Root 70“ das schönste Album, das
die Band je aufgenommen hat. Wogram war schon immer ein Sound-Fetischist, aber hier übertrifft
er sich in dieser Hinsicht selbst. Man fühlt sich vom weichen Klang dieser Songs buchstäblich in
einen plüschigen alten Kinositz gedrückt und wartet förmlich darauf, dass sich der Vorhang öffnet.
Die visuelle Qualität der Musik wird durch dieses leidenschaftliche Verharren im Sound ungemein
gesteigert. So scheint die Band ihrer Hörerschaft sagen zu wollen: Wir erzählen euch eine
Geschichte, die ihr alle kennt, aber wir wissen, dass ihr sie immer wieder hören wollt. Denn genau
das ist es, was wir auch hören wollen.
„Es ist ein ganz klassisches Format“, beschreibt Wogram diese Haltung. „Eine Jazzband spielt
zusammen in einem Raum. Es sind Stücke, deren Themen vorgestellt werden, bevor dann darüber
improvisiert wird. Mit dieser klar nachvollziehbaren Form wird nichts übermalt. Ich beschäftige mich
schon seit Jahren mit dem Diskurs, wohin die neuen Strömungen des Jazz überhaupt führen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass beim Streben nach Neuheit die Nuancen der individuellen
Aussagen zu sehr in den Hintergrund treten. Wir wollten die eigene Erzählstruktur nicht mehr dem
Konzept unterordnen.“
Das Risiko, das Wogram mit diesem Postulat eingeht, sieht er gleichzeitig als Chance. Er setzt
gezielt auf das Moment der verlässlichen Wiederholung, auf dem man nicht nur Geschichten,
sondern auch Vertrauen aufbauen kann. Die Herausforderung besteht für ihn darin, die
Legitimierung für dieses klassische Format zu finden, ohne den eigenen über Jahrzehnte
aufgebauten Anspruch zu verraten. Nichts von dem, was auf „The Pristine Sound Of Root 70“ zu
hören ist, begnügt sich mit der Kopie von etwas bereits Existentem, sondern ausschließlich vor
den biografischen Hintergründen der vier Musiker und der Band als Ganzes. Root 70 bleibt sich
treu, indem die Gruppe einmal mehr mit Erwartungen bricht. Innerhalb des eigenen
Aktionsrahmens sucht die Band durchaus nach etwas Neuem.
Last not least ist „The Pristine Sound Of Root 70“ ein Kind dieser Zeit, denn bedingt durch die
unfreiwillige Pause des weltweiten Lockdowns sind Wogram, Chisholm, Penman und Rueckert auf
sich selbst zurückgeworfen worden. Befreit vom unentwegten Tour-Alltag hatten sie individuell und
kollektiv Muße, all ihre Werte auf dem Prüfstand zu stellen. Plötzlich wird persönliche Erinnerung
wieder zu einer Triebkraft des musikalischen Schöpfungsprozesses. Root 70 haben keine Angst
vor den berühmt-berüchtigten Guilty Pleasures und lassen ehrlich zu, was in und mit ihnen
passiert.
 

afficher moins

Organisateur

Nils Wogram

Prévente

Total: XX.XX

Infos

Lieu:

JazzHall Hamburg, Milchstraße 12, Hamburg, DE